Das eigene Bier brauen liegt seit Jahren voll im Trend. Immer mehr Hobby-Brauer stürzen sich auf die am Markt inzwischen zahlreichen Anbieter von Heim-Brauerei-Anlagen und brauen sich ihr eigenes Bier in mehr oder weniger großem Stil. Die Brauerei, über die wir berichten möchten, ist jedoch etwas anders gelagert, kommt ganz ohne Equipment aus und liefert leider völlig unvorhersagbare Ergebnisse: Das Eigenbrauer-Syndrom.
Betrunken ohne Alkohol zu trinken
Sehr selten, aber dennoch regelmäßig tauchen in den Notaufnahmen von Krankenhäusern sturzbetrunkene Menschen auf, die behaupten, keinen Tropfen Alkohol getrunken zu haben.
Und manchmal stimmt das sogar.
Einige dieser Fälle schaffen es als anekdotische Fallberichte in medizinische Fachzeitschriften. Darunter ein 61-Jähriger Texaner, der 2009 mit einer Alkoholvergiftung in eine Notaufnahme eingeliefert wurde und angab, seit Jahren immer wieder „berauscht“ zu sein, ohne Alkohol getrunken zu haben. Man hielt ihn für einen heimlichen Trinker. Erst im Jahr darauf erhielt er seine Diagnose. 2020 berichtete die Daily Mail über den Fall eines 47-jährigen Belgiers, der ebenfalls unter unerklärlichen Umständen betrunken wurde. Beide Patienten erhielten nach langer Odyssee die Diagnose „Eigenbrauer-Syndrom“. Doch wie kommt es zum Suff wider Willen?
Antibiotika bringen das Mikrobiom durcheinander
Als Leser unseres Blogs ahnst Du es wahrscheinlich schon: Die Ursache für das seltene Eigenbrauer-Syndrom hat mit Antibiotika zu tun. Die bringen das Mikrobiom des Darms durcheinander, also die Mikroben, die in Deinem Darm leben und für Dich arbeiten. Da Antibiotika nicht zwischen Gut und Böse unterscheiden, töten sie auch einen Teil Deiner nützlichen Darmbewohner ab. Dadurch können sich andere Organismen stärker vermehren. Zum Beispiel Hefepilze wie Saccharomyces cerevisiae, die Backhefe (auch Bierhefe oder Bäckerhefe genannt) die u.a. für ihre alkoholische Gärung bekannt ist. Kann S. cerevisiae sich ungehindert vermehren und wird dann mit den richtigen Kohlenhydraten gefüttert, beginnt sie auch im Darm ihre Brauerei-Tätigkeit und produziert Alkohol. Der gelangt in die Blutbahn und führt dazu, dass die Betroffenen betrunken sind – ohne getrunken zu haben.
Was auf den ersten Blick lustig wirkt ist brandgefährlich
Im ersten Moment mag das durchaus lustig und irgendwie charmant klingen. Doch haben die Betroffenen nur wenig Kontrolle über ihre darminterne Brauerei. Die Folgen können nicht nur Alkoholvergiftungen sein, wie im oben beschriebenen Fall, sondern auch alle Folgeerkrankungen, die eine Alkoholsucht mit sich bringen kann. Abgesehen davon kommen natürlich auch die Verletzungs- und Unfall-Risiken hinzu, die für jeden anderen Betrunkenen gelten. Oftmals haben die Betroffenen auch einen langen Leidensweg hinter sich, bis sie eine Diagnose erhalten. Nicht nur beim Besuch von Ärzten, sondern auch im Privat- und Berufsleben. Wer glaubt schon einem Betrunkenen, dass er nicht getrunken hat?
Wie wird das Eigenbrauer-Syndrom behandelt?
Es gibt verschiedenen Möglichkeiten, die außer Kontrolle geratenen Hefepilz-Kolonien loszuwerden und das Darm-Mikrobiom wieder aufzubauen. Hefen sind auf Kohlenhydrate angewiesen. Dadurch kann man sie „aushungern“, wenn auf Kohlenhydrate in der Ernährung verzichtet wird. Bei dem Texaner wurde auf diese Strategie in Kombination mit einem zusätzlich eingenommenen Antimykotikum (ein Mittel, das gegen Pilze wirkt) gesetzt. Der Belgier erhielt eine sogenannte „Mikrobiomtransplantation“. Was wenig appetitlich klingt, ist eine hygienisch einwandfreie Prozedur, bei der medizinisch aufbereiteter Kot mit den darin enthaltenen Mikroorganismen eines Gesunden in den Darm des Patienten eingebracht wird. Das Spender-Mikrobiom kann so den Darm des Patienten besiedeln, die Hefepilze verdrängen und das Gleichgewicht wieder herstellen.
Antibiotika vermeiden
Antibiotika sind Wunderwaffen im Kampf gegen bakterielle Infektionen – aber sie haben auch Nebenwirkungen, die sich teilweise zu solch seltsamen Leidensgeschichten auswachsen können. Wenn ein Antibiotikum eingesetzt werden muss, solltest Du es unbedingt genau nach ärztlicher Anweisung einnehmen. Außerdem solltest Du Dein Mikrobiom durch eine ausgewogene, gesunde Ernährung stärken und unterstützen, damit möglichst viele der „guten Bakterien“ überleben und sich nach dem Ende der Antibiotika-Einnahme schnell wieder erholen.