Was man in Zeiten der Covid-19-Pandemie kaum glauben mag: Viren können durchaus nützlich sein. Unabhängig davon, dass sie im Lauf der Evolution an verschiedenen Stellen vermutlich eine entscheidende Rolle gespielt haben, können einige von Ihnen auch Bakterien abtöten: Viren benötigen für ihre Vermehrung den Stoffwechsel anderer Zellen. Die sogenannten Bakteriophagen haben sich dabei auf Bakterien spezialisiert.
Was sind Bakteriophagen?
Der Name stammt aus dem Griechischen und bedeutet so viel wie „Bakterien fressen“. Genau genommen „fressen“ Phagen die Bakterien nicht. Der Phage injiziert sein Erbgut in ein Bakterium und programmiert es um: Das Bakterium produziert jetzt Bakteriophagen – und zwar so viele, bis es platzt und dabei abertausende neue Phagen freigibt, die jeweils ein weiteres Bakterium infizieren können.
Bakteriophagen sind überall. Auf, in und um uns herum. In einer Handvoll Erde stecken etwa 10 Milliarden von ihnen. In den Meeren dieser Welt etwa 1030 – auf dem gesamten Planeten gibt es mehr als es Sterne im Universum gibt. Jede Phagenart ist auf ein bestimmtes Bakterium spezialisiert, das es als Wirt braucht – allerdings gibt es Überlappungen, sodass die meisten Bakterienarten gleich von mehreren Phagenarten befallen werden können.
Bakteriophagen als Antibiotika-Alternative
Entdeckt wurden die Bakteriophagen 1917 von Félix Hubert d’Hérelle am Institut Pasteur in Paris. Das Potenzial im Kampf gegen bakterielle Infektionen war schnell erkannt und so wurde in den 1930er Jahren quer über den Globus an Phagen geforscht. Als Alexander Fleming das Penicillin entdeckte, geriet die Phagentherapie in Vergessenheit. Zumindest im Westen, denn durch den kalten Krieg schaffte das Penicillin es lange Zeit nicht in den Osten, weshalb die Phagentherapie dort die einzige (bezahlbare) Alternative im Kampf gegen bakterielle Infektionen blieb. Im Westen machten Antibiotika eine weitere Erforschung der Phagen – vermeintlich – überflüssig.
Das Problem mit der Phagen-Therapie
Bakteriophagen sind hochspezifisch: Jede Art benötigt eine bestimmte Bakterienart, um sich zu vermehren. Bei jeder Infektion muss also zunächst bekannt sein, welches Bakterium sie verursacht hat und dann muss geschaut werden, welcher Phage „wirkt“. Das macht auch die Zulassung als Therapie nach den in der Europäischen Union geltenden Regularien so schwierig. Bakteriophagen sind zwar nicht verboten, jedoch auch nicht als Therapie zugelassen, also weder in Apotheken noch in Arztpraxen zu finden. Die Gesetzeslage lässt eine Phagen-Therapie in Deutschland nur zu, wenn es keinerlei Alternativen mehr gibt. Genau dies macht jedoch eine großrahmige Studie zur Wirksamkeit nahezu unmöglich.
In einigen Staaten in Osteuropa, wie zum Beispiel in Georgien, kann man hingegen Phagen-Mischungen rezeptfrei in Apotheken kaufen. Außerdem gibt es spezialisierte Kliniken mit einer immensen Sammlung unterschiedlicher Phagenarten – wirken die „Standard-Mischungen“ nicht, kann in dieser Sammlung nach genau dem Phagen gesucht werden, der im speziellen Einzelfall hilft.
Der Westen zieht nach
Seit das Problem mit den Antibiotikaresistenzen größer wird, wird auch im Westen wieder mehr an Bakteriophagen geforscht. Allerdings ist die Entwicklung von Medikamenten nach westlichen Regularien ein langer Prozess, der sich über Jahre erstreckt und Neuland für die Zulassungsbehörden bedeutet. Es gibt einige gute Ansätze und Zwischenergebnisse. Ein Fokus liegt dabei auf einer Verbesserung bzw. Verbreiterung der Wirksamkeit. Eine Anfang 2021 veröffentlichte Studie konnte gute Erfolge mit einer Phagenmixtur aus speziell zur Bekämpfung von methicillinresistenten Staphylococcus aureus (MRSA) gezüchteten Phagenarten nachweisen. Die Mixtur konnte bei 101 von 110 teils multiresistenten Staphylokokkenstämmen das Wachstum hemmen.
Eine solch breite Wirksamkeit macht die Bakteriophagen zu einer Alternative von Antibiotika – vielleicht sogar zu einer besseren, da Bakterien zwar auch in der Lage sind, gegen Phagen Abwehrmechanismen zu entwickeln, die Phagen jedoch einfach nachziehen. Seit Jahrmillionen gibt es ein Wettrüsten zischen Bakterien und Bakteriophagen – bisher haben die Phagen es immer gewonnen.
Es wird also höchste Zeit, dass wir lernen, Bakteriophagen effektiv als Medikamente zu nutzen und sie zur Zulassung zu bringen.