Resistenz auf die Spitze getrieben: Wenn ein Bakterium ein Antibiotikum zum Über-leben braucht

Vorab: Der hier beschriebene Fall ist 30 Jahre alt und ist sicher nicht die Regel. Er zeigt jedoch, wie anpassungsfähig Bakterien sind. Und wie dramatisch eine Behandlung ins Leere laufen kann, wenn stumpf mit einem Antibiotikum weiterbehandelt wird, obwohl es ganz offensichtlich nicht anschlägt.

Was nicht wirkt, wirkt nicht

Mit einer Entzündung der Gallenblase und des Gallengangs sowie der Bauchspeicheldrüse kam eine Patientin 1992 in das Universitätsklinikum in Philadelphia. Sie wurde mit verschiedenen Antibiotika behandelt. Darunter Vancomycin, Imipenem und Gentamicin. Dennoch entwickelte sie unter anderem eine Sepsis und musste vorübergehend sogar auf der Intensivstation invasiv beatmet werden.

Erst nach über 2 Monaten im Krankenhaus wurde eine Bakterienkultur des Urins der Patientin angelegt und das Bakterium Enteroccocus faecalis nachgewiesen. Der kultivierte Stamm zeigte eine Resistenz gegen Vancomycin, weshalb die intravenöse Therapie mit diesem Antibiotikum abgesetzt wurde. Stattdessen bekam die Patientin Ampicillin. Laut der 1994 erschienenen Veröffentlichung zu dem Fallbericht, reagierte die Patientin jedoch allergisch auf das Ampicillin. Warum daraufhin trotz der nachgewiesenen Resistenz wieder Vancomycin verabreicht wurde, lassen die Autoren des Artikels offen. Einige der heutzutage gegen E. Faecalis eingesetzten Präparate standen damals noch nicht zur Verfügung. Die damals sonst noch erhältlichen sind bei E. Faecalis primär unwirksam. Vermutlich war es also die pure Verzweiflung. Tatsache ist jedoch: Die Patientin wurde über 130 Tage mit Vancomycin behandelt. Aufgrund der (bereits nachgewiesenen!) Resistenz natürlich ohne Erfolg.

Von der Resistenz in die Abhängigkeit

Im späteren Verlauf der Behandlung sollten Laboruntersuchungen zeigen, welches Antibiotikum das Vancomycin-resistente Bakterium noch bekämpfen konnte. Der Versuch, die Bakterien erneut aus dem Urin der Patientin für die Medikamenten-Tests anzuzüchten, gelang jedoch nicht mehr. Zwar wuchsen die Bakterien-Kolonien beim direkten Aufbringen des Urins auf die Kulturplatten, aber sobald die Bakterien auf andere Nährmedien übertragen wurden, wuchsen sie nicht mehr. Sie mussten also auf einen Nährstoff angewiesen sein, der zwar im Urin der Patientin enthalten war, nicht aber in den Nährmedien.

Skurril, aber wahr: Nach einigen Versuchsreihen stellte sich heraus, dass es ausgerechnet das Vancomycin war, das dem Nährmedium fehlte und ohne das der spezielle Bakterienstamm nicht mehr überlebte.

Die Patientin als experimenteller Brutschrank

Die ersten Bakterienkulturen, die zwei Monate nach Einlieferung der Patientin angelegt wurden, wuchsen noch auf Standard-Nährböden und zeigten bis dahin lediglich eine Resistenz gegen das Vancomycin. Die Vancomycin-Abhängigkeit des Bakteriums hat sich demnach durch die Fortführung der Behandlung in vivo, also in der Patientin, entwickelt.

Doch so nahm die Geschichte wenigstens ein glückliches Ende: Als das Vancomycin nach weit über 130 Tagen Behandlungszeit abgesetzt wurde, verschwand auch die Vancomycin-abhängige Enterokokken-Infektion.

Die Bakterien starben am kalten Vancomycin-Entzug, gegen das sie erst eine Resistenz entwickelt hatten und von dem sie im nächsten Schritt abhängig wurden.

Und die Moral?

Wenn Du ein Antibiotikum nehmen musst, dann nimm es unbedingt genau nach Vorschrift: In der richtigen Dosierung und über den gesamten Zeitraum. Manchmal ist durchaus eine verlängerte Einnahme von Nöten.

Aber wenn das Präparat auch nach dem 2. Zyklus keinerlei Wirkung zeigt, lass Dich nicht auf eine lange Antibiotika-Kur aus unklaren Gründen ein. Es muss dann unbedingt eine  Bakterienkultur zum Nachweis von möglichen Resistenzen durchgeführt werden!

 

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