Bakterien in ÖPNV

Das 9-Euro-Ticket und die Mikroben, die ganz umsonst im ÖPNV fahren

Viren und Bakterien im ÖPNV? Nein, dies wird kein Artikel zum Thema Ansteckungsgefahr im öffentlichen Personen-Nahverkehr (ÖPNV). Und erst recht keiner, der sagen möchte, dass die Fahrt per 9-Euro-Ticket direkt in den Sarg führt. Stattdessen erzählen wir hier eine Geschichte, die eher in die Welt der Kriminallabor-Phantasie gehört: Vor allem in amerikanischen Krimi-Serien wird ja gerne mal anhand einer einzelnen Mikrobe auf einem einzelnen Sandkorn unter dem linken Schuh des Verdächtigen der Ort identifiziert, an dem sich das Entführungsopfer befindet. Mit einer Genauigkeit, die jeden hochmodernen GPS-Sender in den Schatten stellt. Tja, das geht wirklich…

…nicht. Aber auch wenn dies vorläufig Phantasie bleiben wird: Zumindest die großen Städte lassen sich tatsächlich an ihrer ganz eigenen Mikroben-Zusammensetzung identifizieren. Das hat ein internationales Forscherteam nach der Analyse mikrobieller Proben aus dem öffentlichen Nahverkehr herausgefunden. Die Studie erschien 2021 in „Cell“.

Die unsichtbaren Fahrgäste: Viren und Bakterien im ÖPNV

Die Mitglieder der Forschergruppe wischten sich mit ihren Probentupfern in einem Zeitraum von drei Jahren durch den ÖPNV von 60 Städten auf 6 Kontinenten: Ticket-Automaten, Drehkreuze, Haltestangen, Sitze – keine Oberfläche war vor ihrer Probennahme sicher. Insgesamt nahmen sie über 4.700 Proben. Aus diesen extrahierten sie im Labor insgesamt 4.246 bekannte Arten von Viren, Bakterien und Urbakterien, die auch als Archaea (früher Archaebakterien) bezeichnet werden. Darüber hinaus entdeckten sie zahlreiche Arten und Fragmente, die in Referenzdatenbanken bislang nicht gelistet sind. Ein weiterer Fokus der Studie lag auf der Identifikation von Gen-Signaturen für antimikrobielle Resistenzen (AMR).

31 der identifizierten Arten finden sich in nahezu allen Proben, sodass diese nicht zur Unterscheidbarkeit von Städten beitragen. Jenseits dieser Arten wiesen die Städte jedoch unterschiedliche mikrobielle Signaturen auf, die unter anderem durch klimatische und geografische Unterschiede bedingt sind. Als besonders guter Marker erwiesen sich auch die Profile der AMR-Gene, denn sie unterschieden sich in Art und Dichte stark von Stadt zu Stadt. Dadurch wäre es insgesamt tatsächlich möglich, anhand des Mikroben-Profils auf einem Kleidungsstück zu sagen, in welcher Stadt sein Träger mit der U-Bahn gefahren ist. Ein klein wenig CSI-Magie im realen Leben.

Wie gefährlich ist das „Mikrobiom“ des ÖPNV?

Nach den Erfahrungen der letzten zwei Jahre ist die Frage nach dem Risiko durch die in Bussen, Zügen und Bahnen mitfahrenden Mikroben verständlich, aber unbegründet. Zwar wurden in den Proben auch Arten aus Bakteriengruppen identifiziert, die potenziell Krankheiten beim Menschen verursachen können (darunter z. B. Staphylokokken, Streptokokken und Enterobacter), allerdings schreiben die Wissenschaftler, dass sie keine Hinweise darauf haben, dass das urbane Mikroben-Universum krankmachende Eigenschaften besitzt. Es scheint also so weit im Gleichgewicht zu sein, dass es sich selbst reguliert.

Bakterien im ÖPNV? Die tun nichts – die wollen nur spielen!

Die Ergebnisse bieten einen spannenden Einblick in die regional sehr unterschiedlichen Lebensgemeinschaften der Mikro-Welt um uns herum. Dabei sei noch einmal betont: Es ist ein globaler Gen-Atlas von Bakteriengemeinschaften entstanden, kein Atlas möglicher Gefahrenquellen. Bis auf die Kartierung der Resistenz-Gene – diese waren erschreckend weit verbreitet. Sie unterschieden sich von Stadt zu Stadt erheblich. Am seltensten zu finden waren sie in Proben aus Ozeanien und dem Mittleren Osten.

Auf Basis der Datensammlung könnten Krankheitsausbrüche in Städten erkannt werden, denn eine Verschiebung in der Zusammensetzung der Bakteriengemeinschaften könnten sie früh anzeigen – doch das macht die Welt der Mikroben um uns immer noch nicht gefährlich.

Mikroorganismen sind um uns. Immer und überall. Im ÖPNV, in Städten, in der freien Natur, bei Dir zu Hause, auf Deinem Körper und in Deinem Körper. Du kannst ihnen nicht entkommen, bist ihnen noch nie entkommen – und brauchst ihnen vor allem auch nicht zu entkommen (es sei denn natürlich, Du hast Dein Entführungsopfer in einer anderen Stadt versteckt und würdest gerne Deine Spuren verwischen). Die Mikroorganismen sind da – sie tun Dir aber in den seltensten Fällen etwas.

Warum also tun wir ihnen etwas? Man muss diese Mikroben daheim oder Viren und Bakterien im ÖPNV oder sonstwo in unserer Welt nicht mit der „chemischen Keule“ zu „erschlagen“ versuchen. Es ist absolut unnötig und es bringt auch nichts – außer Probleme. Denn wie bei der unbedachten Antibiotika-Therapie ist auch die Anwendung von Desinfektionsmitteln außerhalb definierter Bereiche in der Medizin und Pflege völlig unsinnig.

Viel Spaß mit dem 9-Euro-Ticket!

Unterm Strich bleibt von unserer Seite eigentlich nur, Dir viel Spaß auf den Touren mit dem 9-Euro-Ticket zu wünschen, von Entführungen abzusehen und weder die Sitze im ÖPNV noch die heimische Küchenoberflächen unnötig mit Desinfektionsmitteln zu traktieren. Für den Fall, dass der Mensch auf dem Nebensitz seltsam röchelt und hustet, empfehlen wir stattdessen, doch noch mal eine Meske zu tragen. Sicher ist sicher.

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